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Hinweise auf den Weg des Dialogs

Wort der Muslime zur
Eröffnung des 6. El-Doha Kongresses
im Dialog der Religionen
El-Doha, Emirat Katar, 13.-14. Mai 2008

von Prof. Dr. Ahmed Al-Tayyeb
Rektor der Universität Al-Azhar, Kairo, A.R. Ägypten

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.
Gott sei Dank und Friede sei mit unserem Propheten,
dem Gesandten Gottes.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Am Anfang meiner Worte möchte ich meinen herzlichen Dank gegen­über den geehrten Veranstaltern, die für diesen Kongress verantwort­lich sind, ausdrücken.

Herrn Prof. Dr. Ibrahim El-Naimi,
Direktor des Internationalen Doha-Zentrums des religiösen Dialogs,

Frau Prof. Dr. Aisha El-Manai,
Dekanin der Fakultät für islamische Gesetzgebung und Studien

Herrn Mohamed El-Remehi,
Chef der Organisationsgruppe der Kongresse im Außenministerium von Katar

Friede, Gottes Segen und seine Barmherzigkeit
sei mit Ihnen allen.

Der Islam, dem ich angehöre und an den ich glaube, führt zur Recht­schaffen­heit und zum rechten Pfad zugleich. Leider wurde der Islam in letzter Zeit zu Unrecht beschuldigt. Daher möchte und hoffe ich, dass seine Gläubigen ihn weiterhin vor falschen Beschuldigungen verteidigen, auf die Angriffe rea­gie­ren, und dafür ihre Zeit, Energie und finanzielle Mittel aufwenden.

Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, einmal offen zu reden. Uns allen  wird es schon langweilig von den Konferenzgesprächen voller gegenseitiger Kom­plimente. Selbst wenn diese sich immer wiederholen, so sind sie doch von geringem Nutzen, denn sie erreichen die Menschen in der Welt nicht.

Ich denke, wenn wir wirklich ernsthaft einen fruchtbaren Dialog schaffen wollen, dann ist es bestimmt nicht der Islam, der beweisen sollte, dass er eine Religion ist, die den Dialog anerkennt. Der Islam ist eine Religion, wel­che Kulturen integriert, andere Zivilisationen befruchtet und Respekt gegen­über dem Nächsten zeigt. Für jene, die diese Religion kennen, sind das be­kann­te Fakten, ob sie an den Islam glauben oder nicht.

Die Geschichte beweist, dass diese Religion eine Kultur der mensch­lichen Brü­derlichkeit und der internationalen religiösen Freundschaft war und bleibt. Diese religiöse Kultur war nie eine Quelle des menschlichen Leids. Die Brü­der­lichkeit mit anderen Religionen war ihr nie eine Bürde. Nie zeigte sie Feind­schaft gegenüber anderen Religionen, weder in der Öffentlichkeit noch im Geheimen. Selbst in ihren bewaffneten Streitigkeiten mit Nicht-Muslimen hat sie niemals die Gesetze des Korans übertreten oder die Grenzen ihres  Rechts, sich selbst oder das Land zu verteidigen, überschritten.

Ohne den Koran hätte die islamische Kultur diese menschliche Zusam­men­ge­hörigkeit nicht in dieser Weise erfasst, denn der Koran setzte im mensch­li­chen Verstand und in den Ansichten der Muslime einige Wahrheiten, die ich jetzt in Kürze erwähnen möchte.


Die Wahrheiten des Koran


Eine der Koranischen Tatsachen, mit denen alle Muslime von Kindheit an auf­wach­sen, ist jene, dass es Gottes Wille ist, dass die Menschen von ihm ver­schieden geschaffen worden sind. Dies betrifft ihre Hautfarbe, ihre Sprache und ihre Mentalität. Das bedeutet in der Folge aber auch, dass sie ver­schie­de­ne Religionen und Glaubensüberzeugungen haben können, denn aus einem unterschiedlichen Erfassungsvermögen des menschlichen Verstandes folgt mit Sicherheit auch eine Verschiedenheit im Glauben und in der Glaubens­richtung. Wenn ER es wollte, dann hätte Gott allen Menschen eine Religion und einen einheitlichen Glauben geschenkt. Jedoch wollte ER diese Verschie­denheit im Glauben und in den Religionen. Der Koran bestimmt, dass diese Verschiedenheit Gottes Gesetz ist, welches unsere Existenz beherrscht und das Verhalten der Menschen bis zur letzten Sekunde des Universums  beein­flusst.

„Wenn dein Herr gewollt hätte, hätte Er alle Menschen zu einem einzigen Volk gemacht. Doch Er hat sie verschieden gelassen, und so werden sie immer bleiben.“ (11, 118)

„Jedem Volk haben Wir einen Rechtsweg und eine Glaubensrichtung gewiesen. Wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einem einzigen Volk gemacht. Er hat euch aber verschieden geschaffen, um euch zu prüfen und zu erkennen, was ihr aus den euch offenbarten ver­schie­denen Rechtswegen und Glaubensrichtungen macht. Wetteifert mit­einander, gute Werke zu vollbringen!“ (5, 48)

Aus diesem koranischen Ursprung geht logischerweise hervor, dass die Beziehung zwischen verschiedenartigen Menschen nicht anderes als ein zivilisiertes Kennen lernen sein sollte, so dass sich die Kulturen begegnen und vervollständigen.

„Oh ihr Menschen! Wir haben euch aus Mann und Frau (Adam und Eva) erschaffen und haben euch zu Völkern und Stämmen werden lassen, damit ihr euch kennen lernt. Der Edelste vor Gott ist der Fromm­­ste unter euch. Gottes Wissen und Kenntnis sind unermesslich.“ (49, 13)

Aus der Wahrheit dieser Verschiedenheit der Menschen tritt die nächste Wahrheit hervor, nämlich die Freiheit der Erkenntnis und folglich des Glaubens. Dies wird ganz klar im Koran ausgesprochen:

„Sprich: Das ist die Wahrheit von eurem Herrn. Wer glauben will, möge glauben, und wer ablehnen will, möge ablehnen“ (18, 29)

 „Du bist kein Tyrann, der sie unterjocht.“ (88, 22)

„Du bist nicht da, um sie zu zwin­gen.“ (50, 45)

„Hätte Gott es gewollt, wären alle Menschen auf Erden samt und son­ders gläubig geworden. Möchtest du etwa die Menschen zum Glauben zwingen?“ (10, 99)

 „Dir obliegt nur, die dir offenbarte Botschaft zu verkün­den.“ (42, 48)

 Die nächste Wahrheit bezieht sich auf den Inhalt des Islam. Der Koran gibt klar zu verstehen, dass unter dem Islam nicht nur die Botschaft zu verstehen ist, die dem Propheten Mohammed, Friede sei über ihm, gebracht wurde, sondern dass der Islam alle monotheistischen Religionen enthält -  be­ginnend mit Adam und endend mit dem Propheten Moham­med - welche in hinter­einan­der folgenden Botschaften durch Pro­phe­ten und Gesandtem erbracht worden sind. Aus dieser Wahrheit kam der Koran, um zu versichern, dass Moham­med ein Bruder von Moses und Jesus ist, und auch von allen anderen Pro­pheten und Gesandten Gottes, Friede sei mit ihnen allen. Also kam der Koran sowohl als Nachweis für die Bibel als auch für die Thora. Alle Predigten des  Gesandten sind auf denselben generellen Ursprung zurück­zu­führen, ohne Unterschiede zwischen Propheten und dem Gesandten. Diese gemeinsamen Ursprünge verdeutlichen den Monotheismus, die Einheit Gottes.

Von diesen Wahrheiten ausgehend entstand die Offenheit des Islam gegen­über den anderen Buchreligionen, sein tiefer Respekt gegenüber Anders­gläubigen und das wahre Gefühl der Brüderlichkeit mit Christen und Juden. In der Geschichte der Menschheit erbrachte der Islam mehrere Beweise für seine freundschaftlichen Beziehungen sowohl zum Christentum als auch zum Judentum, vergebend und liebend.

Vielleicht ist es angemessen, hier einmal auf die weit zurückliegenden ersten Jahre in der Geschichte des Islam hinzuweisen. Als die Götzendiener die ersten Muslime folterten, schickte sie der Prophet des Islam nach Äthiopien, wo ein christlicher Monarch regierte. Er tat dies mit den Worten: „Im Land Äthiopien herrscht ein Kaiser, der recht­schaffen ist und niemanden zu Unrecht beschuldigt, so geht hin bis Gott für uns eine Erlösung schickt“. Unter diesen Auswanderern (aus Mekka) war seine Tochter Rokaia und ihr Mann Uthman ibn Affan (auch bekannt unter dem Namen Osman, später der 3. rechtgeleitete Kalif der Sunniten). Die Geschichte zeugt von zwei Wan­derungen zu diesem christlichen und generösen Herrscher. Dieses frühe islamische Szenario darf man nicht vorbeigehen lassen, ohne daraus die tief greifende Lektion gelernt zu haben. Der Prophet des Islam hätte nie das Leben der Muslime, die wegen ihres Glaubens nach Äthiopien weglaufen mussten aufs Spiel gesetzt, wenn er nicht von Gott inspi­riert wurde, dass seine Botschaft und die Botschaft Jesu von der glei­chen Mut­ter­milch tranken. Dasselbe empfand der Kaiser („Negus“) Äthio­piens, „El-Nagashi“ als er sich das erste Mal die Verse des Koran von den Mus­limen vorlesen ließ. Er sagte: „Das, was ich jetzt höre und das, was Jesus gebracht hat, stammen aus einem Licht.“

In Al-Buchari´s Buch vom Leben und Wirken des Propheten steht fol­gendes: „Am Tag des Todes von Kaiser „El-Nagashi“ von Äthiopien sprach der Prophet seinen Begleitern (in Medina) seine Trauer aus. Er ging mit ihnen zur Mo­schee und sprach das Gebet der abwesenden Toten.“ Ein anderes Beispiel: „Eine Delegation von Christen kam aus der Stadt Negran (auf der arabischen Halbinsel) zum Propheten, um mit ihm ein Gespräch über die neue Religion zu führen. Der Prophet empfing sie als Gäste in seiner Moschee in Medina. Als die Zeit für ihr Gebet kam, sagten sie zu ihm: ´Mohammed, es ist Zeit für uns zu beten´. Dieser zeigte auf eine Seite der Moschee und bat sie ihr Ge­bet zu vollbringen. Obwohl sie zuvor den Islam abgelehnt hatten, so hatte der Prophet ihren Standpunkt akzeptiert und war gütig und freundlich. Er schloss sogar ein Abkommen mit ihnen, wo unter anderem fest­ge­legt wurde: „Die Stadt Negran mit ihrer Umgebung (samt Dörfern und Siedlungen) ste­hen im Schutze Gottes und seines Propheten, was ihr Blut, Besitz, Waren, ihren Glauben, ihre Heiligen,  Heiligtümer und religiösen Führer betrifft, ob sie anwesend sind oder nicht, und alles, was ihnen gehört, sei es viel oder wenig.

Was diese Brüderlichkeit angeht, so hat uns die Geschichte bewahrt, wie der Prophet mit den Juden von Medina einen Vertrag ge­schlossen hat. Dieser berühmte und historische Vertrag, bekannt als „Medina´s Urkunde“, enthält Abschnitte, die von mehr als nur Toleranz und Gerechtigkeit zeugen. Die Urkunde garantierte den Juden ihre fi­nan­zielle und wirtschaftliche Selb­ständigkeit sowie den Schutz ihrer Religion und betrachtet sie als einen un­zertrennlichen Teil des isla­mischen Wesens, obwohl sie andersgläubig sind. In dieser Urkunde wird gesagt: „Die Juden vom Stamme ´Auf´ sind ein gläubiges Volk. Den Juden sei ihre Religion und den Muslimen ihre Religion; jeder von ihnen bezahlt, was er dem anderen schuldig ist. Beide sollten den Sieg über diejenigen, die diese Artikel der Urkunde bekämpfen, erlangen. Zwischen ihnen sei Rat und Beratung in Freundschaft und ohne Sün­de.“

Diese koranischen und prophetischen Ursprünge, von denen Sie jetzt hören, berichten von der Beziehung des Islam und seiner Kultur in der Beziehung zu anderen Kulturen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.  

Ausgehend von der Wahrheit der Unterschiede zwischen den Menschen war es ganz natürlich, dass die Geschichte der is­la­mischen Kultur frei blieb von der Versuchung der anderen alten wie neuen Kulturen. So gab es zu keiner Zeit Projekte des in­ter­­natio­na­len Imperialismus mit dem Ziel der Macht­aus­übung über andere Völker. Nie haben islamische Philosophen oder Wissen­schaftler in ihrer Lehren von der Macht einer einzigen Kultur gesprochen, die über allen Menschen walten sollte. Nie hat der Islam eine Gesellschaft be­fürwortet, die aus einer ein­zigen Bevölkerungs­schicht be­steht, wie in der marxistischen Ideologie. Lange Jahre lebten die Menschen mit solchen irrea­len Ideen und den falschen Versprechungen bevor deren wirt­schaftlicher, ideolo­gischer und gesellschaftlicher Unterbau zu­sammenbrach.

Meine Damen und Herren. Entschuldigen Sie bitte meine längere Rede über Themen, die im Allgemeinen unzweideutig sind. Ich wollte Ihnen damit sagen, dass der Islam, von dem ich einige Charakterzüge darlegte, im Grunde keineswegs ein Hindernis auf dem Weg des Dialogs darstellt, vor­ausgesetzt natürlich, er wird richtig verstanden. Vom Grund seiner Erkennt­nis her ist der Islam eine Religion des Dialogs und des Befruchtens zwischen den Kulturen und dasselbe kann man auch vom Juden- und Christentum behaupten, welche ebenfalls  göttliche Botschaften innerhalb eines einzigen Systems verbreiten oder – besser gesagt - innerhalb einer einzigen göttlichen Religion.

Was die Kongresse der Religionsdialoge vom Islam verlangen, das ist also de facto vor­handen. Aus diesem Grunde empfinde ich öfters, dass wir, wenn wir über Religio­nen reden, oder zumindest über den Islam reden, immer wieder die­selben Worte, die schon mehrfach gesagt worden sind, wiederholen. Vielleicht habe ich nicht Unrecht, wenn ich behaupte, es existieren wahre Hindernisse auf dem Weg des Dialogs. Diese wären, meiner persönlichen Meinung nach, die folgenden. 


Die vier Hindernisse des Dialogs


Das erste Hindernis ist die immer noch enorme Entfernung zwischen dem Westen und dem Islam. Bis heute haben die weisen Denker des Westens keinerlei ernsthafte Versuche unternommen, um die Kultur der Muslime richtig zu verstehen oder die Geschichte, die Kultur und das Wesen des Islam neu zu entdecken. Es ist bemerkenswert, dass die westliche Kultur die islamische Kultur und die Muslime nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit behandelt, obwohl sie dies mit anderen Religionen und Sekten durchaus tut. Im Grunde ist dies eine merk­würdige Situation, die mehr Zweifel und Misstrauen als Hoffnung und Optimismus einflösst. Wir predigen immer wieder den Dialog und hof­fen, oder noch mehr, wir erwarten von den Kongressen und den Zentren des Dialogs - seien sie im Westen oder im Osten - dass diese mit Ernsthaftig­keit dazu beitragen dem Westen den Islam vom Kern her zu erklären, fern von Übertreibungen und Behauptungen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Wir wissen nicht, warum die west­li­chen Medien immer noch darauf bestehen, das Bild des Islam zu ver­zerren. Meistens sind sie im Wesentlichen darauf fokussiert, den Islam des Ter­rorismus und der Aggression zu beschuldigen, obwohl mehrere westliche Denker zugeben, dass ähnliche Aggressionen in der Welt auch von Juden, Christen oder Hindus und anderen begangenen worden sind. Beispielweise von jenem Geistlichen (Michael Bray), der eine Ab­treibungsklinik sprengte, oder von Timothy McVeigh, der ein Staats­gebäude in Oklahoma gesprengt hat, oder Sektenführer David Koresh der in der Stadt Waco in Texas für den Tod von 82 seiner An­hänger verantwortlich war. Denken wir auch an den religions­poli­ti­schen Kon­flikt zwischen Katholiken und Protestanten in Nordirland oder die serbisch-orthodoxe Kirche, die in das Auslöschen und Vergewaltigen von über 250 000 Muslimen in Bosnien verwickelt ist. Oder erinnern wir uns an das Töten von 38 Palästinensern durch den jüdischen Psychologen Barth Goldstein in der Stadt Galiläa, der während des Gebetes in die Moschee eindrang, und vieles andere mehr.

Das zweite Hindernis betrifft die Katastrophe vom 11. Sep­tember und die Sorgen und negativen Zweifel, die dadurch in den westlichen Ge­mü­tern geweckt worden sind. Das Ereignis er­weckte andererseits in den Seelen der Muslime die Erinnerung an die Nach­wirkungen der Kreuzzüge. Die schmerz­­­haf­ten, trau­rigen, betrüblichen und sogar kata­strophalen Konsequenzen des 11. September haben fast eine Trenn­wand des Hasses zwischen beiden Kulturen geschaffen. Hier wird die Aufgabe der weisen Denker auf beiden Seiten deutlich, ganz besonders jene der Islamwissenschaftler. Sie müssen die volle Verantwortung dafür übernehmen, dass diese  Trennwand wieder niedergerissen wird und deren Konsequenzen ebenfalls beseitigt werden. Dazu gibt es nur einen Weg, derjenige des Verständnisses der Religionen in ihrem Kern. Dieses fängt an mit den gemeinsamen Werten aller Religionen, wie Brüderlichkeit und gegen­sei­tigem Kennen lernen, besonders wenn man begreift, wie schon erwähnt, dass der Terror bei Muslimen und Nicht­muslimen in gleicher Weise zu beklagen ist und beide Seiten in glei­cher Weise ängstigt.

Wir Muslime sehen das dritte Hindernis in den Ängsten mancher Men­schen im Westen angesichts des raschen Wachstums von islamischen  Gemeinden, die daraus resultierende Sorge vor dem Einfluss eines anderen kulturellen Musters und von verschiedenen Wesensarten auf die europäische und nordamerikanische Gesellschaft.

Ich meine, man könnte dieses Hindernis leicht überbrücken, wenn die weisen Denker des Ostens und des Westens davon zu überzeugen  wären, dass der Islam eine Religion ist, die historische und reale Er­fah­rungen im Zusammen­leben mit anderen Kulturen, Religionen, Gesetzgebungen, Ritualen und gesell­schaftlichen Systemen innerhalb eines Staates hat. Die legale Ehe im Islam zwischen einem Muslim und einer Frau der Buchreligionen (Jüdin oder Christin), wobei die Frau ihre eigene Religion beibehält, repräsentiert ein schönes Beispiel im Ver­schmelzen des Islam mit Juden- und Christentum in Barmherzigkeit und Liebe unter einem Dach. Der Islam in Spanien (An­da­lu­sien) beweist diese Tatsache. Dort wurde nie die jüdische oder christliche Kultur angefeindet oder verfolgt.

Andererseits haben die Muslime zu bedenken, dass der Westen seine eigene Zivilisation, Philosophie und Geschichte ent­wickelt hat und eigene gesell­schaftliche und wirtschaftliche Normen bildete. Die hier lebenden Muslime sollten Respekt vor dieser Kultur zeigen, deren Gast sie geworden sind, auch wenn sie sich nicht in jedem Einzelfall nach deren Gewohnheiten richten können.

Über das vierte Hindernis rede ich voller Traurigkeit. Als höflicher Gast kann ich es nur in Kürze, nur durch eine Anspielung und ohne aus­führlich zu werden, erwähnen. Ich rede vom organisierten Missionieren unter unseren armen Muslimen und auch von den Angriffen auf den Islam durch große religiöse Institutionen, von denen man an sich erwarten sollte, dass sie Brücken zwischen den Religionen erbauen. Stattdessen übernehmen sie die Rolle, die Beziehungen zwischen den Gläubigen zu entstellen und deren friedliches Zusammenleben zu stören.

Meine Damen und Herren. Ich bin sicher, dass die Kongresse der Dia­loge ihre Früchte tragen werden, sobald der Westen aufhört mit dem Osten aus einer Logik der Überlegenheit zu diskutieren, mit sei­nen dop­pelten Standards die Themen abzuwägen und schließlich die öf­fent­lichen und geheimen Pläne aufgibt, die Muslime zu missionieren, um sie zu konvertieren.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Friede, Gottes Barmherzigkeit und Segen sei mit Ihnen allen.

Prof. Dr. Ahmed Al-Tayyeb
Rektor der Universität Al-Azhar

 

Übersetzung aus dem Arabischen: Prof. Dr. Samira El-Mallah, Kairo, Ägypten
Schlussredaktion und Publishing: Peter Z. Ziegler, Basel, Schweiz