Last Update: 11. Dezember 2007 AD

Intertext Ziegler

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Keine absurde Perversität klingt zu unglaubwürdig, als dass sie nicht doch dem Islam in die Schuhe geschoben werden könnte. Im Deutschland der Islamphobie kritisiert eine mutige Frau aus dem Mittleren Neckarraum jetzt diese dumpfe Stimmungsmache gegen muslimische Mitbürger. Im Auge hat sie den jüngsten Auftritt der türkischen Anwältin Seyran Ates. Diese hielt in der Esslinger Stadtbücherei vor ein paar Tagen ihren jüngsten Horror-Vortrag zum „Multikulti-Irrtum“. Muslimische Eltern hätten ihrer erst 8jährigen Tochter den Kopf kahl geschoren, um sie zum Tragen des Kopftuchs zu zwingen, so erzählte sie in Esslingen dem erschreckten schwäbischen Publikum!


Sehr geehrte Damen und Herren,

allmählich reicht es jetzt wirklich! Seyran Ates mag für manche ihrer Mandantinnen viel erreicht haben, und gewiss gibt es Gewalt und sonstige Mißstände in der muslimischen Community, vor denen man nicht die Augen verschliessen darf. Aber eigene Lebenserfahrungen und die ständige Begegnung als Anwältin mit unterdrückten, misshandelten und bedrohten Frauen hat sich offenbar negativ auf Ates’ Wahrnehmungs- und Urteilsvermögen ausgewirkt. Oder wie sonst ist es zu erklären, dass sie sich in die vorderste Frontlinie der Kulturkämpfer gegen eine angeblich drohende "Islamisierung" Deutschlands positioniert - und das dann noch nicht einmal wahrhaben will.

Im Zentrum dieses Kulturkampfes, in dem Rechtsextreme, Bürgerlich-Konservative, und neuerdings auch (Ex-)Linke und Feministinnen Arm in Arm marschieren, steht immer wieder das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung und Integrationsverweigerung. Einer Achtjährigen, so Ates zur Begründung ihrer Forderung nach Einschränkungen des Elternrechts und der Religionsfreiheit, sollen die Eltern den Kopf kahl geschoren haben, um ihr das Kopftuch aufzuzwingen. Doch selbst wenn es diese Grausamkeit aus religiösem Fanatismus gegeben hat (wobei Ates suggeriert, dass es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt), wäre wohl zunächst einmal zu fragen, was sie generell über die muslimische Community und über den Islam aussagt.

Zur Zeit berichten die Medien fast täglich über schreckliche Kindesmisshandlungen und aufgefundene Babyleichen. Bei den Tätern handelt es sich bekanntlich nicht um islamische "Fundamentalisten", sondern um ganz "normale", mehr oder weniger christlich sozialisierte deutsche Eltern. Kaum jemand kommt deshalb auf die Idee, das Christentum oder die abendländische Kultur als  Legitimationsquellen solcher Handlungen anzuprangern. Statt dessen sucht man nach den psychischen und sozialen Ursachen. Aber wenn Muslime - ganz gleich, ob gläubig oder nicht - aggressiv oder kriminell werden, geht es immer direkt um "den Islam" als eigentliche Triebkraft von Gewalt und Missachtung deutscher Regeln und Gesetze.

Ates sollte eigentlich wissen, dass es nach islamischer Regel keine Kopftuchpflicht für achtjährige Mädchen gibt, die elterlichen Zwangsmassnahmen also nicht auf religiöse Vorschriften zurückgeführt werden können. Davon abgesehen, wird durch das Kopftuch als solches kein Mädchen, keine Frau daran gehindert, Abitur zu machen, zu studieren, Lehrerin, Ärztin, Managerin, Journalistin, Künstlerin oder was auch immer zu werden, Sport zu treiben, zu reisen, ein glückliches Ehe- und Familienleben zu führen. Wenn es in der Realität der muslimischen Länder und Einwanderer-Communities anders aussieht, so hat das in erster Linie soziale Ursachen. Wer etwas für die Verbesserung der Situation muslimischer Mädchen und Frauen - mit oder ohne Kopftuch - tun will, findet hier ein reiches Betätigungsfeld. Der angeblich im Namen von Emanzipation und Aufklärung geführte Kampf gegen das Kopftuch - bis hin zu einem generellen Kopftuchverbot in den Schulen - führt dagegen nur zur weiteren Aufheizung eines ohnehin zunehmend islamfeindlichen Klimas.

Seyran Ates verwahrt sich dagegen, von Journalisten einer sozialkritischen Zeitung " ins rechte Lager gedrängt" zu werden. Wahrscheinlich findet sie aufgrund ihrer vielen Aktivitäten zur Rettung muslimischer Frauen und zur Aufklärung der deutschen Öffentlichkeit über den „Multikulti-Irrtum“ nicht die Zeit, die begeisterten Kommentare zu ihrem Wirken auf den einschlägigen "islamkritischen" Blogs und Homepages zu verfolgen. (Dass sie für viele in diesen Kreisen aufgrund ihrer Herkunft trotzdem niemals eine vollwertige Deutsche werden kann, sei nur am Rande angemerkt). Von der Zustimmung zu Ates'  Multikulti-Kritik ist es hier jedenfalls nicht weit zur hasserfüllten Forderung nach der Ausweisung aller Muslime aus Deutschland und zu Gedankenspielen, wie man diesem Wunsch durch aggressives Auftreten und Selbstbewaffnung Nachdruck verleihen kann. Wenn Ates selbst sich damit nicht auseinandersetzen will, so wäre es Aufgabe eines professionellen Journalismus, sie damit zu konfrontieren - und gleichzeitig die Leser darüber zu informieren -, statt kritiklos und offensichtlich durch eigene Vorurteile belastet nur mitzuschreiben, was die prominente Autorin von sich gibt. Ich hoffe daher, dass die Esslinger Zeitung in Zukunft mit mehr Distanz und Kompetenz über dieses Thema berichten wird.

     Mit freundlichen Grüssen
     Irmgard Pinn

 

 

 
   Responsible: Peter Ziegler

Peter Ziegler